Vortragsreihe der KULTUR.SPITZEN
Die Hildesheimer KULTUR.SPITZEN bieten 2016 erstmalig eine gemeinsame Vortragsreihe an.
Diese widmet sich vor dem Hintergrund der Ausstellung „Mumien der Welt“ im Roemer- und Pelizaeus-Museum unter dem Titel „?Tod! Tod im kulturellen Vergleich“ aus verschiedenen Blickrichtungen der Endlichkeit des Lebens und dem Umgang verschiedener Kulturbereiche mit dem Tod sowie den Toten – wobei sowohl von großen, bedeutenden Personen wie von Menschen des Alltags die Rede sein wird.
Vortrag der Hildesheimer Kultur.Spitzen im RPM | 13. April 2016 | 19.00 Uhr
Oliver Gauert, der Co-Kurator der Mumienausstellung im RPM:
Mumifizierung - ein weltweites Phänomen
Auf allen bewohnten Kontinenten der Erde hat es Kulturen gegeben, die die Toten mumifiziert haben. In der Mumifizierung findet offensichtlich die uralte Sehnsucht der Menschen ihren Ausdruck, der eigenen Vergänglichkeit entgegenzuwirken. Unser Bild von der Mumifizierung und den zugrundeliegenden Motiven ist allerdings stark vom alten Ägypten geprägt, dessen Kultur man am ehesten mit dem künstlichen Leichenerhalt assoziiert. Tatsächlich sind die Gründe für die Konservierung Verstorbener ganz unterschiedlich und haben in vielen Fällen wenig mit Jenseitsvorstellungen zu tun. So vielfältig die Beweggründe für die Mumifizierung sind, so ähnlich ist die Vorgehensweise bei der Herstellung der Mumien. Obwohl Mumien aus Ägypten, Südamerika oder Ozeanien auf den ersten Blick kaum Gemeinsamkeiten erkennen lassen, liegen der Erhaltung der Körper dieselben Mechanismen zugrunde.
Oliver Gauert M.A. hat in Göttingen und Moskau Ägyptologie, Philosophie und Koptologie studiert. Zurzeit promoviert er über die Regierung des Königs Djedkare, der in Ägypten am Ende der fünften Dynastie regierte. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte Ägyptens im Alten Reich sowie die Mumifizierung in Ägypten und anderen Kulturen. Er war in mehrere Forschungsprojekte des Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim involviert und ist als Co-Kurator an der Konzeption der aktuellen Ausstellung 'Mumien der Welt' beteiligt gewesen.
Vortrag der Hildesheimer Kultur.Spitzen im RPM | 11. Mai 2016 | 19.00 Uhr
Dr. Michael Schütz, Stadtarchiv Hildesheim:
Die Angst vor dem Scheintod –
Über eine weit verbreitete Hysterie im 18. und 19. Jahrhundert
Die Angst, lebendig begraben zu werden, tritt schon in mittelalterlichen Schriftquellen hervor und ist in ganz Europa verbreitet gewesen. Sie resultierte vor allem aus ungenügend vorhandenen me-dizinischen Kenntnissen über den exakten Eintritt des Todes. Im 18. und besonders im 19. Jahr-hundert entwickelte sich diese Angst in Deutschland zu einer wahren Hysterie, die sich in einer Vielzahl von Publikationen niederschlug und auch „Sicherheitssärge“ und „Rettungswecker“ her-vorbrachte. Sie gipfelte schließlich in der Forderung, Bestattungen erst dann vorzunehmen, wenn eindeutige Zeichen des Todes – also die Verwesung – erkennbar waren. Um diese Forderung ohne eine hygienische Beeinträchtigung der Lebenden zu gewährleisten und gegebenenfalls erwachende „Tote“ medizinisch betreuen zu können, wurde schließlich die Institution des Leichenhauses be-gründet. Ein solches Leichenhaus wurde 1842 auch in Hildesheim errichtet, von dem sich Bauplä-ne, Ausstattungsverzeichnisse und Anweisungen an das Personal erhalten haben. Kulturgeschicht-lich gesehen führte die Angst vor dem Scheintod zu weitreichenden Veränderungen im Bestat-tungswesen und wirkt bis in die heutige Zeit nach.
Dr. Michael Schütz: Studium der Geschichte und Germanistik an der Universität Hamburg; von 1989-1992 Wissenschaftlicher Angestellter am Historischen Seminar (Arbeitsbereich Mittelalter) der Universität Hamburg, 1994 Promotion ebd. zum Dr. phil. mit einer Dissertation zur spätmit-telalterlichen Geschichte des Erzbistums Bremen; 1993-1994 Wissenschaftlicher Angestellter am Staatsarchiv Hamburg, 1994-1996 Ausbildung am Staatsarchiv Hamburg und an der Archivschule Marburg zum Wissenschaftlichen Archivar; seit 1996 im Archivdienst der Stadt Hildesheim, zu-nächst als Bereichsleiter (Altes Archiv, Wissenschaftlichen Bibliotheken, Bestandserhaltung und Ausbildung), seit 2015 als Leiter des Fachbereichs Archiv und Bibliotheken und Archivdirektor (2016).
Vortrag der Hildesheimer Kultur.Spitzen im RPM | 1. Juni 2016 | 19.30 Uhr
Prof. Dr. Regine Schulz Direktorin des RPM:
Osiris und Re –
Leben, Tod und Erneuerung im pharaonischen Ägypten
Dies- und Jenseits, Himmel, Erde und Unterwelt galten im pharaonischen Ägypten als Einheit und die Weiterexistenz im Totenreich, im Unterschied zu vielen anderen antiken Kulturen, als erstrebenswert. Wer sich während des diesseitigen Lebens an die vorgegebenen ethischen Normen hielt, konnte das Totengericht überstehen und als „gerechtfertigter Verstorbener“ weiterexistieren. Wer diesen Status aber nicht erhielt, wurden aus dem Erneuerungszyklus der Schöpfung ausgeschlossen und war erst dann endgültig tot.
Der Vortrag beschäftigt sich aber nicht nur mit abstrakten Vorstellungen, sondern auch mit bildlichen und schriftlichen Zeugnissen von Todesfurcht und -überwindung, Trauer und Zweifel sowie der Hoffnung auf ein gutes oder sogar besseres Leben nach dem Tode.
Prof. Dr. Regine Schulz ist Direktorin der Roemer- und Pelizaeus-Museums und des Stadtmuseums in Hildesheim sowie Professorin für Ägyptologie und Koptologie an der Universität München. Sie ist außerdem Mitglied in der Geschäftsführung des Internationalen Museumsrates und korrespondierendes Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts. Ihre Forschungsschwerpunkte sind altägyptische, nubische und vorderasiatische Kulturgeschichte, Kunst und Religion. Darüber hinaus ist sie Ko-Projektleiterin der Ausgrabungen in der Ramsesstadt (Ägypten) sowie des Hermopolis Magna/Tuna el-Gebel-Projektes des RPM mit den Universitäten in München und Kairo. Regine Schulz studierte und unterrichtete an den Universitäten in Berlin, München, Kairo und Baltimore. Sie ist Autorin und Herausgeberin zahlreicher Fachpublikationen und Ausstellungskataloge.
Vortrag der Hildesheimer Kultur.Spitzen im RPM | 22. Juni 2016 | 19.00 Uhr
Dr. Andrea Nicklisch, Ethnologin im RPM:
Opferpraxis in Mesoamerika. Zwischen Selbst- und Menschenopfer
Das Opfern von Menschen war einst ein weltweites Phänomen. Sehr sichtbar rückte es jedoch mit der Eroberung der Amerikas in den Blickpunkt Europas und ist bis heute fast untrennbar mit vorspanischen Kulturen wie denjenigen der Azteken und Maya verknüpft. Spanische Chronisten berichteten von über 80.000 geopferten Menschen bei der Neueinweihung des Haupttempels in Mexiko-Tenochtitlan. In der Wissenschaft gab es hingegen zeitweilig Strömungen, die versuchten, die Opferung von Menschen in Mittelamerika vollkommen zu negieren.
Menschenopfer sind seit der olmekischen Zeit (ab 1500 v. Chr.) in Mesoamerika überliefert, zumeist in bildlichen Darstellungen auf Stein, Wandmalereien oder in den vorspanischen Bilderhandschriften. Aber auch Tiere, Blumen oder das eigene Blut brachte man den Göttern als Opfergabe dar. Wo lagen die Wurzeln dieser für die Spanier so verabscheuungswürdigen Praxis? Waren die Azteken „blutrünstiger“ als andere mesoamerikanische Ethnien?
Dr. Andrea Nicklisch: Im Anschluss an das Studium der Fächer Altamerikanische Sprachen und Kulturen, Ethnologie sowie Vor- und Frühgeschichte an der Universität Hamburg folgte ein Volontariat am Ethnologischen Museum Berlin im Fachreferat Amerikanische Archäologie Mesoamerika. Zwischen 2005 und 2009 Tätigkeit als Projektkoordinatorin und Ko-Kuratorin für nationale und international Ausstellungen des Ethnologischen Museums Berlin. Von 2009 bis 2013 Promotion im DFG-geförderten Emmy-Noether-Projekt „Text, Bild, Performanz“ am Historischen Seminar der Universität Hamburg, Arbeitsbereich Außereuropäische Geschichte, zu multiplen Lesarten von Bildern auf kirchlichen Silberarbeiten aus dem bolivianischen Altiplano.
Seit Juli 2015 Kuratorin der ethnografischen Sammlung des Roemer- und Pelizaeus-Museums Hildesheim.
Vortrag der Hildesheimer Kultur.Spitzen im RPM | 27. Juli 2016 | 19.00 Uhr
Prof. Dr. Michael Brand, Direktor des Dommuseums a. D.:
Vom Tod zum Leben. Hildesheimer Heilige und ihre Reliquien
Dass die Namen unserer Kirchen nicht nur auf die heiligen Patrone verweisen, sondern dass damit auch ein Hinweis auf deren materielle Präsenz an diesen Orten gegeben ist, macht man sich heute kaum noch bewusst. Dabei berichtet schon die Gründungsüberlieferung des Mariendomes von einem dort verwahrten Reliquiengefäß, das unter anderem Haare der Gottesmutter enthalten soll. Der Vortrag geht der Frage nach, wie es im Christentum zu der uns heute fremd gewordenen Verehrung menschlicher Überreste kommen konnte und veranschaulicht diese Form der Heiligenverehrung exemplarisch an Hildesheimer Beispielen.
Prof. Dr. Michael Brandt: Studium der Germanistik, kath. Theologie., Philosophie, Erziehungswissenschaften und Kunstgeschichte in Münster, Trier und Braunschweig, Staatsexamen, Promotion in Kunstgeschichte, Honorar-Professor. der Universität Hildesheim, ehem. Direktor des Dommuseums Hildesheim, Stiftungsrat der Abegg-Stiftung CH Zahlreiche Ausstellungen und Publikationen zum kulturhistorischen Kontext der mittelalterlichen Kunstschätze Hildesheims, u.a.:
- Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen, Ausst.-Kat., 2 Bde., Hildesheim / Mainz 1993
- Der vergrabene Engel. Die Chorschranken der Hildesheimer Michaeliskirche, Ausst.-Kat., Hildesheim 1995 - Abglanz des Himmels
- Romanik in Hildesheim, Ausst.-Kat., Regensburg 2001
- Zur Stuckdekoration der Hildesheimer Michaeliskirche - vor 1186. In: Hoch- und spätmittelalterlicher Stuck, Regensburg 2002, S. 99 - 105
- Bernward und Byzanz. In: Buchkunst im Mittelalter und Kunst der Gegenwart, Nordhausen 2008, S. 43 - 54
- Bernwards Säule, Regensburg 2009
Vortrag der Hildesheimer Kultur.Spitzen im RPM | 17. August 2016 | 19.00 Uhr
Dr. Thomas Scharf-Wrede, Leiter des Bistumsarchivs:
Ein Schlüssel zur Vergangenheit: Kirchenbücher als sozial- und alltagsgeschichtliche Quelle
Knapp 4.000 Kirchenbücher befinden sich derzeit im Bistumsarchiv Hildesheim: Verzeichnisse von Taufen, Trauungen und Sterbefällen in den Pfarreien des Bistums Hildesheim vom frühen 17. Jahrhundert bis in die jüngste Zeit. Die häufig sehr konkreten Angaben ermöglichen einen ungemein aufschlussreichen Blick auf das Leben der Menschen vor uns: Wie alt sind die Menschen um 1700 oder 1750 eigentlich geworden, welche Berufe gab es eigentlich um 1800 und wie viele Menschen haben um 1850 ihren angestammten Geburts- und Wohnort aus Erwerbsgründen verlassen?
Kirchenbücher sind eine Art alltagsgeschichtliches Kaleidoskop, nirgendwo sonst findet man über einen so langen Zeitraum vergleichbar komplette Angaben zur Bevölkerung eines Dorfes oder einer Stadt; Standesamtliche Melderegister gibt es erst seit Mitte der 1870er Jahre. Und auch zur baulichen Entwicklung des jeweiligen Kirchenbuchortes finden sich in den Kirchenbüchern immer wieder aufschlussreiche Angaben, wie sie natürlich auch Auskunft über Bruderschaften oder Gottesdienstordnungen geben. Und dass sich anhand der Kirchenbücher auch die Geschichte einer einzelnen – vielleicht der eigenen – Familie nachzeichnen lässt: logisch.
Der Vortrag wird den „Typus“ Kirchenbücher vorstellen und einen Teil der Fragen skizzieren, die sich anhand einer systematischen Auswertung von Kirchenbüchern beantworten lassen – exemplifiziert auf das vormalige Stift Hildesheim.
Dr. Thomas Scharf-Wrede: Studium Kath. Theologie, Geschichte und Philosophie in Osnabrück (LA Gymnasien), Promotionsstipendium der Gerda Henkel Stiftung, Promotion über die Geschichte des Bistums Hildesheim in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Wiss. Mitarbeiter an der Universität Osnabrück, Archivische Fachausbildung. Seit 1993 im Bistumsarchiv Hildesheim, seit 1996 Direktor des Bistumsarchivs Hildesheim. „Nebenbei“: Intensives Engagement in den verschiedenen Gremien des katholischen Archivwesens, Vorsitzender des Vereins für Geschichte und Kunst im Bistum Hildesheim sowie Herausgeber des Vereinsjahrbuchs. Forschungsschwerpunkte/Veröffentlichungen: Geschichte des Bistums Hildesheim und Niedersächsisches Landesgeschichte.